Die Gemeinschaft ist das große Plus
Es gibt sie noch, die Klubs, die richtig boomen. Was machen Großvereine mit 15, 20 oder 25 Mannschaften besser, als solche, die über rückläufige Zahlen klagen? In einer neuen Serie stellen wir die größten Vereine und Abteilungen Deutschlands vor, beginnend mit dem TV Dillingen, der über die meisten gemeldeten Teams in Bayern verfügt – 19 an der Zahl
Die Lichter in der Sporthalle der Mittelschule Dillingen sind aus. Acht Heimspiele der ortsansässigen Tischtennis-Abteilung hätten hier an diesem Wochenende Mitte März stattfinden sollen. „Ich war gerade dabei, den Spieltag vorzubereiten, als die Meldung vom Saisonabbruch die Runde machte“, erzählt Leon Schneider, Jugendleiter des TV Dillingen. Für den Verein aus Bayern bedeutete das vorzeitige Saisonende eine Vollbremsung von hundert auf null, jetzt ruht der Spiel- und Trainingsbetrieb in der Dreifachsporthalle – wo sonst an jedem Samstag während der Saison mit bis zu zehn Spielen von frühmorgens bis spätabends Hochbetrieb herrscht. Anders als viele andere Vereine können sich die Dillinger über mangelnden Zulauf nicht beklagen.
19 Mannschaften sind in der aktuellen Saison im Spielbetrieb gemeldet, mehr kann kein anderer Verein in Bayern derzeit vorweisen. Besonders stolz sind die Vereinsverantwortlichen auf ihre acht Jugend-Mannschaften, dazu kommen neun Herren- und zwei Damenteams, 147 Mitglieder zählt die Abteilung aktuell. Einen Namen gemacht haben sich die Dillinger, deren 1. Herren in der Verbandsoberliga spielt, auch als Ausrichter großer Turniere wie der bayerischen Einzelmeisterschaft oder der Deutschen Seniorenmeisterschaft. Für ihr großes Engagement diesbezüglich sind die Verantwortlichen 2019 vom BTTV mit dem Michael-Esterl-Gedächtnispreis ausgezeichnet worden.
Angesichts solcher Zahlen und Fakten ist es kaum vorstellbar, dass der Verein aus der 19.000-Einwohner-Stadt an der Donau um die Jahrtausendwende noch dicht vor dem Aus stand. „Damals ging es wirklich ums blanke Überleben“, erinnert sich der 2. Vorsitzende Helmut Kapp, „der Kollaps stand kurz bevor“. Dem einstigen Dauergast in der Schwabenliga war noch eine Damen-, eine Jugend- und eine Herren-Mannschaft geblieben, letztere trudelte dem Abstieg in die unterste Spielklasse entgegen. Doch dann bündelte man die Kräfte, zog die besten Jugendlichen hoch, reaktivierte einige Ehemalige, darunter auch Gerhard Tiefenbacher, den einstigen Leistungsträger aus besseren Zeiten. Mit vereinten Kräften konnte der Abstieg so gerade noch einmal vermieden werden. „Das hätte sonst vermutlich auch das Ende des Vereins bedeutet“, mutmaßt Kapp.
Für Abteilungsleiter Martin Lodner, damals wie heute Kapps Mannschaftskollege, war seinerzeit etwas anderes genauso wichtig wie der Klassenerhalt. „Ich erinnere mich, dass wir das erste Spiel der Rückrunde haushoch verloren hatten. Aber wir waren danach noch gemeinsam bis vier Uhr nachts unterwegs, hatten richtig Spaß zusammen.“ Dieses Miteinander, der gesellige Aspekt, sei zuvor verlorengegangen. Heute sind die vielen Events fernab von Punktspiel und Training ein wichtiger Bestandteil des Vereinslebens, „da legen wir viel Wert drauf“, sagt Lodner. Ein Sommerfest und eine Feier zum Jahresabschluss sind feste Termine im Kalender des Vereins, dazu kommen Ausflüge, Wanderungen, Faschingsfeiern, Zeltlager. Der seit Kurzem geschlossene Stamm-Grieche war lange Zeit an den Spieltagen ein fester Treffpunkt, „hier sind abends Spieler aus allen Mannschaften und Himmelsrichtungen nach ihren Spielen zusammengekommen“, erzählt der 42-Jährige. Wann immer es geht, sollen Nachwuchsspieler und Erwachsene sich bei den Vereinsevents begegnen, so gibt es auch keine Berührungsängste, wenn die Jugendlichen später in die Herren- und Damen-Teams integriert werden. „Als 13-Jähriger findet man das natürlich toll, wenn man mit den 19-Jährigen gemeinsam auf die Hütte fährt“, sagt Sebastian Erdt, Kassenwart und Spieler in der 7. Herrenmannschaft, der selbst die Erfahrung gemacht hat, dass „der Übergang von der Jugend zu den Erwachsenen fließend ist“. Das Miteinander ist auch für ihn das entscheidende Plus beim TVD, er unternehme häufiger etwas mit seinen Mannschaftskollegen. „Wir haben hier ein gutes Gemeinschaftsgefühl reinbekommen“, findet der 23-Jährige.
ALT UND JUNG SOLLEN SICH FRÜH BEGEGNEN
Die große Halle trägt auch ihren Teil dazu bei, dass an der Donau das Wir-Gefühl so ausgeprägt ist. Hier begegnen sie sich alle, nicht nur im Training, sondern auch an den Spieltagen. Früher wurden noch häufig die Trennwände heruntergelassen, das ist heute anders. So gucken die Erwachsenen dann natürlich auch mal zu, wenn vor dem eigenen Spiel noch eine Jugend-Partie läuft, „das weckt gegenseitig Interesse“, sagt Martin Lodner. Bei den Spielen der 1. Herren-Mannschaft sind die Zuschauerzahlen auch schon mal dreistellig, immer lockt auch ein kleines Catering.
Dass der Verein die Kehrtwende geschafft hat und heute so gut dasteht, daran hat Lodner maßgeblichen Anteil. Er übernahm vor knapp 20 Jahren die Abteilungsleitung. „Ich bin damals überredet worden, hatte so etwas vorher noch nie gemacht“, sagt er. Der damalige Jugendleiter Martin Reinhardt hatte die Idee – und bewies ein glückliches Händchen. „Jedem ist bewusst, dass wir ohne Martin nicht dort wären, wo wir heute sind“, sagt Helmut Kapp. Das erste Ziel in neuer Funktion, erinnert Lodner sich, sei gewesen, mal wieder eine zweite Herren-Mannschaft zu haben. Der gebürtige Österreicher erkannte schnell, dass das vor allem funktionieren kann, wenn man die Jugendarbeit intensiviert, stieg selbst als Nachwuchstrainer ein. Und langsam nahm die Erfolgsgeschichte ihren Lauf. Neben den mini-Meisterschaften haben sich in der Nachwuchswerbung der Dillinger Schnupperkurse etabliert. Die sind bewusst nicht umsonst. „Wenn die Eltern dafür gezahlt haben, ist die Gefahr nicht so groß, dass die Kinder nur einmal kommen“, benennt Jugendleiter Schneider den Vorteil. Das Nachwuchstraining haben die Dillinger in drei Gruppen aufgeteilt, die Minis (sechs bis elf Jahre) sowie zwei unterschiedliche Leistungsgruppen der Älteren.
Den Jugendleiter freut besonders, dass bei den Kleinsten aktuell auch ein paar Mädchen mittrainieren. Denn eine Mädchen-Mannschaft hatte der Klub schon länger nicht, den zwei Damen-Teams fehlt es so über kurz oder lang an Nachschub. 14 Damen hat der Klub aktuell in seinen beiden Teams gemeldet, eigentlich genug für drei Mannschaften. Aber nicht alle wollen voll spielen. „Diese Erfahrung machen wir mehr und mehr. Viele wollen nicht mehr diese Vielzahl an Terminen haben“, berichtet der Abteiungsleiter. „Zwölfer-Staffeln entsprechen meiner Meinung nach auch nicht mehr dem Zeitgeist.“ Einige Mitglieder seien schon zum Tennis abgewandert, wo man wegen der kleineren Staffeln deutlich weniger Spieltage hat.
Zwischenzeitlich gab es in Dillingen sogar mehr Nachwuchs- als Herrenmannschaften, heute sind viele, die das Tischtennisspielen in dem Ort an der Donau erlernt haben, in einer der elf Erwachsenenmannschaften aktiv. Und einige von ihnen engagieren sich nun selbst im Jugendtraining. Dort war man nicht immer breit genug aufgestellt. Zwischenzeitlich habe er die Bremse treten müssen, erzählt Martin Lodner, „wir sind eine Zeit lang nur einseitig gewachsen – wir wurden immer mehr Mitglieder, aber die Leute, die bereit waren, was zu tun, wurden nicht mehr“. Für ihn und Mitstreiter Reinhardt war das Training nicht mehr zu stemmen, sie schränkten die Angebote etwas ein. Das weckte den einen oder anderen im Verein auf, inzwischen sind fünf Mitglieder fest als Jugendtrainer involviert, diese werden immer von mehreren anderen Erwachsenen unterstützt. Lodner, der sich als Inhaber einer Tischtennisschule und eines Tischtennisshops mittlerweile ganz seinem Sport verschrieben hat, muss im Trainingsalltag gar nicht mehr regelmäßig selbst in der Halle stehen. Bis zum vergangenen Sommer hat er noch die 1. Herren-Mannschaft trainiert. „Dann hatte ich aber irgendwie das Gefühl, die Jungs brauchen einen neuen Impuls.“ Lodner suchte einen neuen Trainer. Wichtig sei es, sagt er, sich immer wieder zu hinterfragen, neu zu erfinden, „auch dann, wenn es scheinbar gut läuft. Sich ausruhen ist der größte Fehler, den man als Verein machen kann.“
Im Vorstand sind die Dillinger zu sechst, das Durchschnittsalter liegt mit gut 30 Jahren wohl weit unter dem in vielen anderen Klubs. Das mag auch daran liegen, dass sie den Kindern schon früh beizubringen versuchen, dass Vereinssport nicht nur nehmen, sondern auch geben bedeutet. „Wer was tut, der bekommt auch was. Spielst du heute mit dem Schwächeren“, nennt Lodner ein Beispiel, „spielt der Stärkere morgen mit dir.“
MIT VERANSTALTUNGEN DIE KASSE AUFBESSERN
Die Veranstaltungen, die die Abteilung regelmäßig ausrichtet, um die Vereinskasse aufzufüllen, funktionieren auch nur so gut, weil dort eben fast alle mit anpacken. Bei der Deutschen Einzelmeisterschaft der Senioren im Jahr 2018 etwa waren es 70 Helfer aus den eigenen Reihen, nicht ganz so viele waren 2019 bei der bayerischen Einzelmeisterschaft notwendig. Mit der Ausrichtung kleinerer Turniere auf Kreis- und Bezirksebene, Verbands- und Pokalmeisterschaften der Jugend und Senioren haben die Dillinger sich langsam an die Events dieser Größenordnung herangetastet. Während es früher schon mal fünf oder sechs Veranstaltungen pro Jahr waren, konzentriert man sich jetzt auf eine Großveranstaltung pro Jahr. „Wir haben das unter den Mitgliedern abstimmen lassen“, erzählt Kassenwart Sebastian Erdt. „Wollen wir lieber mehrere kleinere Veranstaltungen ausrichten und letztlich vier, fünf Mal den Aufbau machen müssen – oder ein Wochenende lang Vollgas geben?“ Fast alle hätten für letztere Variante gestimmt und hängen sich nun bei den entsprechenden Events ziemlich rein.
Denn klar ist auch: Je mehr in Eigenarbeit geleistet wird, desto mehr bleibt am Ende finanziell hängen. „Wenn man den Kartoffelsalat für die Abendveranstaltung bei der Senioren-DM selbst macht, ist es natürlich günstiger“, führt Erdt ein Beispiel an, „und es schmeckt im Zweifel auch noch besser.“
DIE BEITRÄGE REICHEN NUR FÜR DAS NÖTIGSTE
Notwendig seien diese zusätzlichen Einnahmen, so der Kassenwart, „wenn man den Mitgliedern ein bisschen was bieten will.“ Die Mitgliedsbeiträge reichten vielleicht gerade aus, um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Von den 104 Euro Jahresbeitrag eines Erwachsenen gehen nur 60 Euro an die Abteilung, der Rest an den Hauptverein. Erdt: „Und wir zahlen pro Saison ja schon 2.000 Euro Verbandsabgaben.“ Dazu kommen Ausgaben für Bälle, Übungsleiter, Fahrtkosten, Turnier-Startgelder, „die Mitgliedsbeiträge sind da schnell weg.“ Um bei Trikots oder den Vereinsfeiern und Unternehmungen mal etwas dazu zu sponsern, seien die Events als Einnahmequelle wichtig. Zumal man als Verbandsoberligist im Tischtennis auch durch Sponsorengelder keine großen Einnahmen hat. „Um da interessanter zu werden und etwas mehr in Erscheinung zu treten, wäre ein Aufstieg in die Oberliga gut“, sagt Lodner. Bis zum Abbruch der Saison war das Ziel für die Dillinger in der Verbandsoberliga noch greifbar.
In der Mannschaft spielen hauptsächlich Eigengewächse und Spieler aus der näheren Umgebung, angeführt vom Ungarn Soma Fekete, der seit Saisonbeginn Cheftrainer im Jugendbereich ist und als Spielertrainer des Herrenteams fungiert. Wer Einzeltraining bei dem ehemaligen Coach der ungarischen Jugend-Nationalmannschaft will oder als Mitglied einer der unteren Dillinger Erwachsenenteams bei ihm trainieren möchte, muss extra zahlen. Ein paar Mitgliedern sei das ein Dorn im Auge, der Großteil habe aber Verständnis dafür gezeigt, sagt Martin Lodner. „Die Mitgliedsbeiträge in den Vereinen sind so gering – da muss generell mal ein Umdenken stattfinden. Es kann nicht immer alles umsonst geben.“
In wenigen Wochen wollten die Dillinger eigentlich erneut ihre Kasse aufbessern, der DTTB hatte die DM der Senioren wieder an die Bayern vergeben. Die Vereinsverantwortlichen hatten schon eine Menge Arbeit investiert, doch nun werden auch am ersten Mai-Wochenende die Lichter in der Dreifachsporthalle aus bleiben. Das Turnier ist aufgrund der Corona-Krise gestrichen worden. Ein paar Rücklagen sind da, versichert Kassenwart Erdt, „wir planen immer so, dass wir eine Zeit lang auch so über die Runden kommen.“ Gemeinsam werden sie die Krise beim TV Dillingen schon meistern.
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